Josefow im 1. Weltkrieg
Ostgalizien war im 1. Weltkrieg Schauplatz erbitterter Gefechte. Insbesondere der Sommer 1915 brachte viel Zerstörung und Leid, als die zurückweichenden russischen Truppen mit Racheakten der „Strategie der verbrannten Erde“ Dörfer und Landschaft verwüsteten, Nutzvieh und Ernte raubten. Die auf alten Karten1) dokumentierten Frontlinien und Gefechtsplätze lassen erahnen, dass auch die Ortschaften der Gemeinde Josefow stark in Mitleidenschaft gezogen worden sein müssen:
Zeichnung: M. Walsdorf1)
Ein Zeitzeugenbericht überliefert Einzelheiten der Ereignisse in Mierow, das fast dem Erdboden gleich gemacht worden ist:
J. Mayer „Kriegserlebnisse. Mierow“
Auszug aus: Zeitweiser des Bundes der christlichen Deutschen in Galizien
für das Jahr 1917, Seite 70 – 72 2)
"Mierow, eine reindeutsche Gemeinde im politischen Bezirke Radziechow, nahe der russischen Grenze gelegen, bekam auch wie so manches andere deutsche Dorf in Galizien die Russenherrschaft aufs Empfindliche zu verspüren. Schon im Jahre 1914, während des Einmarsches der Russen auf galizisches Gebiet, hatten seine Einwohner viel zu leiden. Die aus der Gegend Brody gekommenen Truppennachschübe und Trainkolonnen, die während des Durchmarsches jedes einzelne Haus bestürmten und plünderten, bildeten den Schrecken des Dorfes. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde bei diesen Durchzugsbewegungen geraubt und mitgenommen. Lebensmittel, welcher Gattung sie auch immer angehörten, wurden nicht verschont, sondern auch an Verstecken, wo sie gesichert zu sein schienen, aufgespürt. So mußten einzelne Hausfrauen im Laufe einer Woche zwei- bis dreimal Brot backen, das die Familienmitglieder jedoch nicht zu kosten bekamen, weil es - manchmal noch nicht ausgebacken – von den Russen aus dem Ofen geholt wurde. Den Winter 1914 – 15 hindurch war die Lage eine etwas erträglichere; was die Russen nahmen, wurde bezahlt, wenn auch weit unter dem normalen Werte.
In der zweiten Hälfte des Monats Juni 1915, während des russischen Rückzuges, fing die Lage an recht kritisch zu werden. Das reindeutsche Dörfchen Mierow wurde die Zielscheibe der plündernden und raubenden Russen. Nichts wurde unberührt gelassen: sämtliche Pferde, mit Ausnahme eines blinden, das sie nicht brauchen konnten, wurden genommen, sogar die erst einige Monate alten Saugfohlen. Kühe blieben nicht überall zu einem Stück; einer armen Lehrerswitwe wurde ihre einzige Kuh geraubt. In der Erde vergraben gewesene Sachen wurden aufgesucht und mitgenommen. Von der Ernte 1915 blieb nichts. Was einzelne Grundwirte dennoch durch Bestechung der Russen in ihre Scheuern brachten, wurde am 27. August ein Raub der Flammen. Die Wohnhäuser wurden im Innern mit brennbaren Flüssigkeiten begossen und sodann angezündet. Neun Wohnhäuser, die vom Feuer verschont blieben, wurden am 29. und 30. August, zu welcher Zeit daselbst eine fürchterliche Schlacht tobte, von russischer Artillerie derart beschossen, daß nur einzelne teilweise bewohnt werden können. Auch die Schule samt Nebengebäude wurden ein Raub der Flammen. Ein jämmerliches Bild bietet die in den Jahren 1912 -13 mit einem Kostenaufwande von über 2000 Kronen renovierte Kirche. Diese wurde nämlich auch derart beschossen, daß die Mauern einzustürzen drohen. Mierow ist ein Schutt- und Trümmerhaufen. Die Not der Einwohner ist unbeschreiblich. Die wenigen Kartoffel, die die Russen gelassen hatten, bildeten die Hauptnahrung. Für den Herbst- und Frühjahrsanbau lieferte der Staat das notwendige Saatgut, so daß im Jahre 1916 schon reichlich geerntet werden konnte.
Was jedoch während dieser Schreckens- und Plünderungszeit am meisten gefürchtet wurde, traf am 29. Juni 1915 ein, nämlich die Wegnahme der Männer und Burschen nach Rußland. Am bezeichneten Tage kam ein russischer Offizier mit fünf Kosaken ins Dorf gesprengt. Männer und Buschen, die sich schon zwei Wochen lang versteckt hielten, mußten auf der Dorfstraße Aufstellung nehmen und erhielten den Befehl, die beiden Turmglocken von der Kirche herunter zu holen. Auch die Schulglocke wurde genommen. Nachdem dies geschehen, wurden sämtliche, die bei dieser mühevollen Arbeit Hilfe Leisten mußten, und zwar 7 Männer und 6 Burschen, nach Rußland abgeführt. Die Namen dieser Armens sind: Johann Wiebel, Kurator der der evangelischen Kirchengemeinde, Adolf Scheer, Jakob Weber, Wenzel Völpel*, Philipp Gottfried, Teobald Ring und Johann Eppler, ferner der Lehramtskandidat Jakob Harlos, die Burschen: Georg Bretz, Gottfried Bretz, Heinrich Geisheimer, Jakob Schmidt und Adam Zimmer.** Von einzelnen dieser Bedauernswerten kommen nur spärliche Nachrichten, so daß über deren Schicksal nur wenig bekannt ist. Einen Monat später, am 29. Juli wurde auch der Schreiber dieser Zeilen, nachdem er sich volle sechs Wochen unter dem Fußboden der Dorfkirche versteckt gehalten hatte, mit noch vier Burschen von den Russen gegen die Grenze abgeführt. Doch gelang es mir nach zehntägigem Hin- und Hertreiben von Szczurowice, einem galizischen Grenzstädtchen, zu entkommen. Später, nachdem österreichisch-ungarische Truppen bereits die russische Grenze überschritten hatten, kamen auch die vier Burschen, welche mit mir weggemußt hatten, zurück.
Endlich ist auch noch zu erwähnen, daß während der Russeninvasion und zwar schon gegen Ende September 1914 einzelne Gemeinden, beziehungsweise Schulleitungen beauftragt wurden, mit dem Schulunterrichte zu beginnen. Am 3. Oktober 1914 wurde denn auch in Mierow mit dem Unterrichte begonnen, der jedoch nur bis zum 26. Oktober erteilt werden durfte, nachdem diese Begünstigung widerrufen wurde. Und so ist die Schuljugend in Mierow schon das dritte Jahr ohne Unterricht, da für diesen Zweck kein geeignetes Lokal im Orte erhalten blieb.
Zur Zeit, da diese Zeilen geschrieben werden, dröhnt wieder in der Nähe fürchterlicher Kanonendonner, der die Erde erschüttert; trotzdem werden die erforderlichen Feldarbeiten standhaft und ausdauernd weiter besorgt.
Über die weiteren Erlebnisse der bedauernswerten Deutschen in Mierow wird - so Gott will - der Zeitweiser für 1918 berichten.
* W. V. soll, wie einer seiner Leidensgenossen mitteilte, bereits in Rußland gestorben sein."
_________
** Das "Evangelische Gemeindeblatt für Galizien und die Bukowina" meldet in der Ausgabe vom 15. November 1915, dass auch Lehrer Harlos und Lehrer Kühner von der Russsen verschleppt worden sind, als die Einwohner von Josefow ihr Dorf räumen mussten.
____________________________
Auch Theodorshof wurde weitgehend zerstört **. Gefechte gab es bei Zboiska. Stanin und Hanunin wurden jeweils fast zur Hälfte zerstört. Josefow dagegen muss relativ glimpflich davon gekommen sein – zumindest in Bezug auf Gebäudeschäden. ***
vgl. auch Dorfberichte in der zeitgenössischen Presse 1915 - 1918 (pdf - 85 KB)
(Ausschnitt aus: http://www.semanchuk.com/gen/maps/UnterschutzGalizienDeutscheMap.png)
Hintergrundmaterial zum Weiterlesen:
Vortrag Prof. Dr. Erich Müller bei der Kulturtagung des Hilfskomitees der Galizien-Deutschen e.V. (Juni 2014)
"Der erste Weltkrieg und das Leiden der deutschen Minderheit in Galizien"
pdf - 1,1 MB >>> http://www.galizien-deutsche.de/hochgeladen/dateien/Vortrag-1.Weltkrieg-Dr.Mueller.pdf
Zeitleiste des Kriegsverlaufs an der Ostfront >> 1915 (Österreichisches Staatsarchiv)
Offensive 1915 >> Lemberg >>> Rückzug der Russen mit der „Strategie der verbrannten Erde“
(Deutsches Historisches Museum)
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/erster-weltkrieg/kriegsverlauf/gorlice-tarnow-1915.html
über Galizien im 1. Weltkrieg:
http://geo.viaregia.org/Material.Datenbank/Geschichte/Erster.Weltkrieg.pdf
1) siehe: Ravensteins Kriegskarte Nr. 26 (digitale Bibliothek Universität Wroclaw)
2) Veröffentlichung hier mit freundlicher Zustimmung des Hilfskomitees der Galiziendeutschen e.V.
** Th. Zöckler „Deutschgalizien im Kriege“ in: Zeitweiser des Bundes der Deutschen in Galizien für das Jahr 1917, Seite 52
*** Zeitzeugenbericht: Adam Tritthart, Brief vom 25.11.1915 http://www.tritthart.net/gesch/letters.htm
Foto eines deutschen Siedlerhauses in Mierow (Postkarte 1906)
>>> Link zur polnischen digitalen Bibliothek http://www.polona.pl/item/1406106/0/
_________
letzte Änderung 13.10..2019