Porzellan - das weiße Gold von Wolhynien 

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Eine kurze Zeitungsmeldung in der Zeitschrift "Das Ausland"  vom 22. Januar 1843 lässt aufmerken:

"D a s   K a o l i n   u n d    d i e   W a n z e.  Die Litt. Gaz. vom 7. Jan. enthält hierüber eine etwas kuriose Zuschrift, aus der wir Folgendes ausheben: In der Nähe der Stadt Korzec in Wolhynien ist ein mächtiges Lager Kaolin oder Porzellanerde, und dieses Lager hat die Errichtung einer Porzellanfabrik veranlaßt. Da sich aber das Kaolin in viel größerer Menge findet, als man bedarf, so dürfen die Einwohner davon holen, und die benachbarten Bauern sowohl als die Juden benützen dies, um die Mauern ihrer Häuser damit anzustreichen. Die einzige Vorbereitung, der sie das Kaolin unterwerfen, ist das Auswaschen der darin befindlichen Quarzkörner; den ebenfalls darin befindlichen Glimmer läßt man darin, weil er den angestrichenen Mauern einen sehr gefälligen Glanz gibt. Das Merkwürdige ist aber, daß die Wanzen, die sonst in diesem ziemlich unreinlichen Lande in Menge vorhanden sind, niemals in einem Hause sich finden, das mit Kaolin angestrichen ist, und selbst wenn man Wanzen an eine solche Mauer hinsetze, sollen sie alsbald todt herunterfallen."

Kaolin-Lagerstätten gab es im damaligen russländischen Reich nur wenige.1  Über die Kaolin-Vorkommen in der Umgebung von Novograd-Wolynsk  - in der Nähe der Ortschaften Korets (Schreibweisen auch  Korec/ Korez/ Korzec), Horodniza und Baranowka (ukr. Baranivka) –  schreibt Carl Eduard von Eichwald 1830 in seiner "Naturhistorische(n) Skizze von Lithauen, Volhynien und Podolien" (Seite 9):

"Die beste Porzallanerde befindet sich in Burtin, einige Werst von Baranowka und gegen 40 Werst von Novgorod Volhynisk; sie ist schneeweiss, zieht sich aber zuweilen etwas ins grauweissliche, nie aber ins röthliche, wie die sächsische, ist dabei leicht  zerreiblich, obgleich sie sich sonst dem festen nähert; ihre feinstaubigen Theile sind mehr oder weniger zusammengebacken, und färben stark ab; sie fühlt sich übrigens fein und sanft, aber mager an, und ist eher leicht als schwer. Sie enthält zwischen der blendendweißen Thonerde feine, oft aber auch gröbere Quarzkörner, seltner deutliche Quarzkrystalle, Glimmerschüppchen werden in ihr fast gar nicht bemerkt."

Rätseln kann man nun über die anscheinend für Wanzen tödliche Wirkung der Porzellanerde.  Eine mögliche Erklärung ist eine Belastung mit dem Gift Dioxin, das unter anderem durch Waldbrände entstehen kann (lt. deutschem Umweltbundesamt fand man Dioxine  sogar in 200 Millionen Jahre alten Kaolinitböden2; Dioxin wurde auch in deutschen Tongruben nachgewiesen).

 

Von frühzeitlicher Keramik-Kultur zur Porzellan-Kunst

Wolhynien ist eine Region mit einer Jahrtausende alten Tradition in der Keramik-Herstellung. So traten beispielsweise bei Ausgrabungen  in den Gebieten um Luzk  und Rivne zahlreiche keramische Fundstücke aus frühen  Siedlungsspuren der so genannten (Linien-)Bandkeramik-Kultur zutage, die in die Zeit um 5400 v. Chr. datiert wird.3

Mit der speziellen, weiß-ausbrennenden Ton-Erde verschaffte sich  die  Keramik-Produktion in Wolhynien im 19. Jahrhundert einen neuen Ruf handwerklicher und künstlerischer Qualität. Fayence- und Porzellan-Manufakturen in Korets, Horodnitza und Baranowka - gegründet um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert - waren zunächst in den Händen von Adelsfamilien. Das wechselvolle Geschick der Betriebe lässt sich aus angesichts einer dürftigen Quellenlage nur grob rekonstruieren (vgl. u.a. Nikolaus Arndt in "Wolhynische Hefte", Ausgabe 2, Seite 66 ff mit weiteren Verweisen).    Seinerzeit gestaltete sich die Suche nach Spezialisten und Arbeitskräften zum  Betriebsaufbau für eine hochwertige Porzellanherstellung in Korets schwierig.  Im Schrifttum finden sich Angaben über die Brüder Franz und  Michael Mezer, die als erste die Leitung innegehabt haben sollen,  wobei sowohl Frankreich als auch Polen, Ungarn und Sachsen als Herkunftsländer genannt werden. Das Allgemeine Lexikon der Bildenden Künstler (Ulrich Thieme Hrsg., Leipzig 1920) nennt einen Anton Gajewski, der 1793 – 1797 "unter Leitung des Miniaturisten Sobiński" in der Manufaktur des Fürsten Czartoryski in Korets tätig gewesen sein soll. Nach einem Brand Ende 1796 kam die Produktion in Korets zeitweise zum Erliegen, lief jedoch nach dem Wiederaufbau wieder an.  1804-1807 lag die Leitung der Manufaktur in Händen französischer Spezialisten namens Mérault  und Pétion (aus Sèvres).* Anzunehmen ist auch, dass ukrainische und jüdische Einwohner der jeweiligen Ortschaften als Arbeitskräfte in den Manufakturen  beschäftigt wurden.

Die Qualität der Produktion konnte sich nach zeitgenössischen Berichten durchaus messen mit Porzellan aus der hochwertigen Meißener oder Wiener Herstellung. Es sind allerdings auch zahlreiche Fälschungen in den Handel gelangt. Der wirtschaftliche Erfolg der wolhynischen Manufakturen schwankte über die Jahrzehnte mit dem Geschick der wechselnden Geschäftsführung. Hinzu kam, dass einzelne Kaolin-Lagerstätten sich nach mehreren Jahrzehnten Abbau teilweise erschöpften.4   Staatliche Regulierungen der jahrzehntelang ungehemmten Abholzung der Wälder für das benötigte Brennholz zwangen außerdem zu sparsamer Bewirtschaftung der Ressourcen. Die so genannten Bodenmarken von  Manufakturen in Korets und Baranowka sind in verschiedenen lexikalischen  Werken überliefert.

Die Rigasche Zeitung meldet unter dem 14.11.1856: "Im Flecken Korza ging vor kurzem eine Fayence- und Porzellan-Fabrik ein, deren Fabrikate den Erzeugnissen des Auslandes weder in der geschmackvollen Form, noch in der Zeichnung nachstanden. An ihrer Statt blüht gegenwärtig eine ähnliche Fabrik im Flecken >>> Baranowka. Drei andere in dergleichen Artikeln arbeitende Fabriken liefern im Durchschnitt verschiedene Geschirre für 15.000 Rbl. jährlich." Bis in die Sowjet-Zeit hinein und auch darüber hinaus wurde an einzelnen Standorten noch produziert, jedoch wurde eine Qualität vergleichbar den ersten Herstellungsjahre Anfang des 19. Jahrhunderts nicht wieder erreicht. Die Manufaktur in Horodnitza feierte 1999 immerhin ihren 200. Geburtstag.

© Mechthild Walsdorf

Anmerkungen:

1  Friedrich Matthäi Die Industrie Russlands in ihrer bisherigen Entwickelung und in ihrem gegenwärtigen Zustande Leipzig 1872, Seite 266 

2  https://www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/dioxine#textpart-1

vgl. Maciej Dębiec und Thomas Saile Zu den östlichsten Siedlungen der frühen Bandkeramik

https://www.uni-regensburg.de/philosophie-kunst-geschichte-gesellschaft/vor-und- fruehgeschichte/medien/__lbk_ukraine_debiec_saile.pdf   (o.J.  - Seitenaufruf 25.7.2018);

Andriy Bardetskiy New materials from the excavations of a multi-period settlement of

Rovantsi, Hnidavska Hirka (Lutsk raion, Volhynia oblast) in 2010 (Seitenaufruf 25.7.2018) http://www.academia.edu/35773188/New_materials_from_the_excavations_of_a_multi-period_settlement_of_Rovantsi_Hnidavska_Hirka_Lutsk_raion_Volhynia_oblast_in_2010

vgl. Karl Erenbert Freiherr von Moll    Efemeriden der Berg- und HüttenkundeNürnberg 1806, S. 139/140

"Fürst Czartorinski hat zu Corsitz in Volhinien eine neue Porcellanfabric angelegt, die er zum Theil mit meissner Arbeitern betreibt, und wobei er einen Vergolder aus Paris mit 2000 Rubel Gehalt anstellte."

4 vgl.  http://shtetlroutes.eu/en/korets-putvnik/

 

Bildnachweise:

E. Zimmermann Führer für Sammler von Porzellan und Fayence, Steinzeug, Steingut usw." Berlin 1919, Seite 273

Friedrich Jaennicke Grundriss der Keramik in Bezug auf das Kunstgewerbe Stuttgart 1879, Anhang Seite 84

Kartenausschnitt (Lage der Manufaktur im Vorort Josefin)      A46_B44_(XXIX_22)_KORZEC_1924_LoC_G6520_s100_.P6.jpg

 

Zum Weiterlesen:

Anna Szkurlat "The Porcelain and Fayence Manufactury in Korzec", Warschau 2011 (engl.)

Abbildungen:  https://www.volart.com.ua/art/farforo-fayansova_manufaktura/

 

Anna Szkurlat  "MANUFAKTURA PORCELANY W KORCU - STAN BADAŃ ORAZ JEJ ZWIĄZKI Z PORCELANĄ EUROPEJSKĄ"  [Aufsatz mit Zusammenfassung in englischer Sprache: THE MANUFACTORY OF PORCELAIN IN KORZEC - STATUS OF RESEARCH AND ITS CONNECTION WITH EUROPEAN PORCELAIN] in: Kronika Zamkowa 1-2/51-52, 131-147, 2006,   online  www.mazowsze.hist.pl/16/Kronika_Zamkowa/375/2006/12238/ (Seitenaufruf 8.8.2018)


Zofia Kossakowska-Szanajca MATERIALY DO DZIEJÓW MANUFAKTUR W KORCU I HORODNICY NA Ppoczatku XIX WIEKU

Instytut Sztuki Polskiej Akademii Naur  - Biuletyn Historii Sztuki – Warszawa 1966,  S. 202 ff

S. 214 -frz. Zusammenfassung : Documents de l’histoire des manufactures céramiques de Korzec et Horodnica au début du XIXe siècle

https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bhs1966/0212 


Zu den Porzellanfabriken in Horodnitza: und Baranowka (russisch):

http://www.sov-art.net.ru/spravochnik-antikvara/zavody/gorodnitskiy-farforovyy-zavod-gorodnitsy

http://www.sov-art.net.ru/spravochnik-antikvara/zavody/baranovskiy-farforovyy-zavod

http://antyki-polska.x25.pl/paper/porcelana_polska_sygnatury (polnisch)

 

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letzte Änderung  24.06.2021