Aus der Geschichte der Kolonie Gnidau

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GNIDAU wurde „Schwabenkolonie“ genannt, was jedoch irreführend ist: ursprünglich gegründet durch Niederdeutsche aus Polen (vermutlich „Niederunger“ aus der Weichselregion – von Zeitgenossen auch spöttisch „Kaschuben“ genannt), zogen etwa ab 1865 aus Galizien mehr und mehr Deutsche pfälzischer Herkunft zu.

Als Namen dieser ersten Siedler sind überliefert: Weinheimer, Bender, Huber, Dober, Schneider, Sonntag, Bäuerle, Schitthelm, König, Rau, Hargesheimer, Hahn, Christoffel, Völpel, Tiefenbach, Henkel, Dilk, Janz, Mohr, Leer, Heß, Strauß, Ettinger, Bodner, Köhli. *

>>> vgl. hierzu Auszug aus dem Trauregister Rozyszcze / Wolhynien - pdf - 119 KB

Das Land – ursprünglich in Staatsbesitz – erwarb  ein aus Riga stammender deutscher General. Er kam den Pächtern in Gnidau mit Großzügigkeit entgegen, indem er sie z.B. beim Erwerb von Grundstücken finanziell nicht überforderte. Nach dem Bericht von Martin Hennig (1933) belief sich der Pachtzins zunächst auf 5 Kopeken, später dann steigerte er sich auf 1 Rubel und dann 3 Rubel je Desjatine.  Ungewöhnlich waren  - im  Gegensatz zu den üblichen Holzbauten - die aus Ziegelsteinen errichteten, recht schmucken Kolonistenhäuser.*

Ein Schul- und Bethaus wurde 1867 in Nutzung genommen, zehn Jahre später schon war ein Neubau nötig, weil die Kolonie stark gewachsen war. Als Namen von Lehrern/Kantoren sind folgende festgehalten: Jakob Schitthelm  (lt. Traueintrag vom 14.11.1865), Hennig (Gottlieb und später dessen Sohn Theophil), Linkert, Liepold und zuletzt Trottnow (bis 1932).*

Gnidau galt nach dem Gemeindebericht des Pastors Kerm 1893/94 als die reichste Kolonie im Kirchspiel Roshischtsche. Gleichwohl gab es in dieser Zeit - lt. dieser Quelle -  angesichts der drückenden Gesetzgebung  zum Verbot von Landbesitz für Bewohner nicht-russischer Nationalität ernsthafte Überlegungen zur Auswanderung nach Bosnien.  

Vor der Zwangsenteignung und Deportation tief ins Innere Russlands (Ural, Sibirien)  im Jahr 1915 blieben auch die Bewohner von Gnidau nicht verschont. (s. Anm. ****)

 

Auszug aus der Enteignungsliste 1915

lfd. Nr. 7556 :  Janz  Konrad (Sohn von Friedrich), Kolonie Gnidawa Kreis Luzk, besaß 10 Desjatinen Land

 

 

Auszug aus den Enteignungslisten 1915 / 1916

veröffentlicht als Beilagen zur amtlichen wolhynischen Gouvernementszeitung

(gem. § 5 UrhG ohne urheberrechtliche Einschränkung; Irrtum der Abschrift vorbehalten)

 

Aus der Kolonie Gnidau wurden enteignet:

Lfd. Nr.

Name,

Vorname

(in Klammern: Vatersname)

Größe des Besitzes

Desjatinen

Klafter

Liste 1 (Eigentümer)

159

Bäuerle, Christian (Konrad)

25

--

160

Bäuerle, Jakob (Jakob d.Ä.)

24

1200

161

Borkowski, Leopold (Leopold)

--

1200

162

Bäuerle, Jakob (Jakob d.J.)

9

1200

163

Bäuerle, Jakob (Christian)

48

--

1222

Hahn, Philipp (Philipp)

15

--

1223

Hargesheimer, Josef (Peter)

22

1200

1224

Georg, Karl (Jakob)

7

1200

1968

Dilk, Johann (Heinrich)

15

--

1969

Dilk, Heinrich (Georg)

15

--

2579

Kühn, Heinrich (Ferdinand)

15

--

2580

Keile /Kelle?, Johann (Jakob)

23

--

2581

Kelle, Wilhelm (Mathias)

15

--

2582

Christoffel, Jakob (Peter)

22

1200

3477

Lehr, Georg (Jakob)

15

--

3809

Mohr, Peter (Simon)

15

1200

4905

Ring, Peter (Peter)

15

--

5600

Tiefenbach, Valentin (Georg)

15

--

5601

Tiefenbach, Georg (Valentin)

22

1200

5805

Felpel /Völpel?, Adam (Philipp)

15

--

6434

Schitthelm, Johann (Johann)

15

--

6435

Strauss, Philipp (Josef)

15

--

6436

Strauss, Johann (Valentin)

5

1200

6437

Strauss, Philipp (Valentin)

15

--

6438

Schmidt, Ludwig (Ludwig)

1

--

7555

Janz, Philipp (Friedrich)

12

1200

7556

Janz, Konrad (Friedrich)

10

--

Liste 2 (Eigentümer)

1139

Kelm, Karl (Ludwig)

7

1200

1140

Kühn, Gustav (August)

15

--

1859

Sager, Jakob (Gregor)

7

1200

 

 

Bei ihrer Rückkehr  um 1918 fanden die deutschen Siedler die meisten Gebäude zerstört, die Gärten und Felder vernichtet vor. Viele hatten noch ausreichend Mut und Kraft, um an den Wiederaufbau zu gehen. Tschechen, Polen  und Ukrainer wurden ihre Nachbarn (vgl. Ortsplan). Nicht alle Gnidauer waren zurückgekehrt: Die Einwohnerzahl von ursprünglich knapp 300 (im Jahr 1904/1905) belief sich im Jahr 1921 auf 124***. Jedoch war Gnidau ca. 10 Jahre später mit 43 Gehöften wieder eine der wohlhabenden Kolonien in der Region.

Die Kinder lernten ab 1929 in der neu eröffneten evangelischen deutschen Privatschule in Luzk. Der erste Lehrer und zugleich Schulleiter war Reinhold Hilscher, der aus Topcza stammte. Im darauffolgenden Schuljahr war die Zahl der Schülerinnen und Schüler schon so groß, dass ein zweiter Lehrer nötig war: eingestellt wurde Ferdinand Hubert Lange, gebürtig aus Wincentowka und Absolvent des Lehrerseminars in Mitau / Lettland. Mit Beginn des Schuljahres 1934/1935 wuchs die Kinderzahl nochmals stark und das Schulkuratorium beschloss die Einstellung einer weiteren Lehrkraft. Die Auswahl fiel auf Katharine Aßmann, die aus Lemberg stammte und das dortige private Lehrerseminar besucht hatte.**

1939/1940 als Folge des Hitler-Stalin-Pakts verließen auch die Gnidauer notgedrungen und schweren Herzens - und diesmal für immer – ihre Häuser, Gärten, Felder und vieles andere, dass ihnen wertvoll und vertraut war. Ihr Ziel war der so genannte Warthegau.  Die Sehnsucht nach dem Land, das einmal Heimat war,  ist in ihnen jedoch lebendig geblieben und bewegt sogar noch ihre Kinder- und Enkelgenerationen.   

* nach B. Tyczkowski „Die Schwabenkolonie Gnidau“ in „Deutsch Wolhynische Heimat“  - ohne Jahr (vermutl. nach 1934), Seite 285 - 286

** Angaben zur Schule in Luzk aus: Alfred Kleindienst "Die deutsche Schule in Luzk", Atlas-Verlag, Luzk 1939, Seite 9 - 10 und 22;  Abschrift von Namenslisten der Schulklassen  auf Anfrage; vgl. auch:  Schulinspektion in der Kolonie Gnidau 1926:  http://nieskonczenieniepodlegla-ludzie.pl/karty/28946

*** Zahlen aus: Zofja Cichocka-Petrazycka "Zywiol Niemiecke na Wolhyniu", Warschau 1933, Tabelle nach Seite 51

**** vgl.  Karl Stumpp:  "Laut den Enteignungsgesetzen vom 2. Februar und 13. Dezember 1915 sollten alle Rußlanddeutschen in einer Zone von 120 km ausgesiedelt und ihr gesamter Besitz an Grund und Boden enteignet werden. Praktisch wären von diesem Gesetz alle Rußlanddeutschen, mit Ausnahme der im Wolgagebiet und Sibirien lebenden, betroffen worden. Es fügte sich dann aber so, daß nur die Wolhyniendeutschen diesem Gesetz zum Opfer fielen. Sie wurden unter menschenunwürdigen Umständen von Haus und Hof vertrieben und bei großen Menschenverlusten nach dem Osten in die Gebiete diesseits und jenseits des Ural umgesiedelt." (Zitat aus dem Aufsatz "Die Deutschen in der Sowjetunion von 1917 bis 1965" in: Eberhard G. Schulz, Hrsg.,  "Leistung und Schicksal - Abhandlungen und Berichte über die Deutschen im Osten", Böhlau-Verlag Köln / Graz  1967, S. 378 - 384)

Weitere Namen aus Gnidau in den Enteigungslisten der Jahre 1915/16:  Hahn, Hargesheimer, Georg, Bäuerle, Dilk, Kühn, Keil, Kelle, Christoffel, Leer, (Lehr),  Mohr, Ring, Tiefenbach, Felpel (Völpel), Schitthelm, Strauß, Schmidt, Kelm, Sager.

 

                         

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Altes Siedlerhaus, Baujahr 1905       

vermutlich eines der Häuser im ursprünglichen Besitz der Familie Janz

       

     

 

 

 

 

 

 

 

 

          

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Siedlerhaus Valentin Bäuerle, Baujahr 1927                 Aufnahmen aus  2012 und  aus den 1930er Jahren*                   

 

 

                            

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zugang zu einem Erdkeller                                                                                    vermutl. Haus einer Familie Hargesheimer

 

 

 

 

 

 

 

 

                            

            vermutl. Haus einer Familie Völpel (neben Hargesheimer)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

vermutetes Gelände des ehemaligen Friedhofs**

 

historisches Foto im Text (oben)  aus: "Deutscher Heimatbote in Polen" Ausgabe 1939, Seite 75

(lizenzfrei für private Zwecke  -  online http://www.wbc.poznan.pl/dlibra/doccontent?id=197783&from=PIONIER%20DLF)

* Quelle: Viktor Kauder "Das Deutschtum  in Polen", Band 5 - Ostpolen, Leipzig 1939, Seite 68

** Dank an E. Schacht für die Überlassung des Fotos

Digitalisat online: (lizenzfrei für private Nutzung)    http://pbc.gda.pl/dlibra

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letzte Bearbeitung 04.12.2019